17. Juni 2016

Raum Computercodes

Ein Beitrag von Andreas Kreuser

Liest man den Titel der Veranstaltung „Mathematik! Studierende unterrichten Flüchtlinge“, drängt sich einem zunächst die Frage auf, warum denn letztere auch noch mit Mathematik malträtiert werden müssen. Erstaunlicher Weise kann Mathematik aber durchaus auch Begeisterung und Interesse wecken! Da ich davon manchmal selbst nicht so überzeugt bin, habe ich das Eingangsspiel für den Raum Computercodes zunächst mit meinen verkaterten, mathe-phobischen Freunden im Biergarten ausprobiert. Nachdem selbst diese total fasziniert waren, wusste ich, dass der Einstieg funktioniert!

Hierfür waren auf einem Kärtchen 15 verschieden Symbole abgebildet. Die Teilnehmer*innen wurden dazu aufgefordert, sich davon eines auszusuchen ohne es jemandem mitzuteilen. Anschließend wurden vier weitere Kärtchen mit jeweils einer Teilmenge der Symbole ausgelegt. Sobald die Teilnehmer*innen auf alle Kärtchen gezeigt hatten, auf denen ihr Symbol abgebildet war, wurde ihnen direkt gesagt, welches dieses war.

Die Schnelle der Antwort ließ darauf schließen, dass dazu nicht nur rein kombinatorische Argumente benutzt wurden, sondern auch ein Trick dahinter steckte. Der Trick heißt Binärsystem: Jedem Symbol wurde eine Zahl zwischen 1 und 15 zugeordnet und im Kopf der Eingeweihten ins Binärsystem übersetzt (z.B. 13 = 1011). Die scheinbar willkürlich konstruierten Kärtchen entsprachen den Stellenwerten im Binärsystem. So war das 13te Symbol auf der ersten, zweiten und vierten Karte abgebildet (Das Spiel ist unter „Binärtrick“ oder „Magische Zahlenkarten“ einfach nachzugooglen).


Der „Kartentrick“ ist somit eine perfekte Überleitung zum Thema Binärsystem, das System, dass nur mit zwei Ziffern auskommt und auf denen die Arbeitsweise von Computern beruht. Fließend ging die Auflösung des Tricks in alternative Darstellungssysteme von Zahlen über. So wurde beispielsweise auch im Hexadezimalsystem gerechnet und so Vor- und Nachteile unseres Rechensystems besprochen. (Warum kann man eigentlich so gut mit den Fingern rechnen und warum wäre es mathematisch unpraktisch, einen zu verlieren?) Übrigens findet man auch abgefahrene Rechensysteme bei den Prüfziffern von ISBN-Nummern.

Eine andere Richtung, in die man ausgehend von dem Eingangsbeispiel gehen konnte, war die Frage, ob sich nicht nur Symbole sondern auch Buchstaben, Wörter und Nachrichten in Zahlen ausdrücken lassen. Und noch viel entscheidender: Gibt es eine Möglichkeit, mit der ich Nachrichten verschlüsseln kann, so dass Sie außer dem gewünschten Empfänger niemand anderes lesen kann? Schon die alten Griechen haben sich mit dem Gebiet der Kryptologie beschäftigt und Chiffren wie das Tausch- und Verschiebe Chiffre oder die Skytala-Verschlüsselung entwickelt. Etwas abgefahrener ist dann schon die Vigenère-Chiffre, die nicht nur auf der monokausalen Zuordnung von Zahl und Buchstabe beruht. Bei dieser Art der Verschlüsselung kann es passieren, dass einem Buchstaben in verschiedenen Worten verschieden Buchstaben zugeordnet werden. Entsprechend komplizierter ist dann aber auch die Entschlüsselung ohne den passenden Schlüssel. Ähnlich diffus aber auch die Vermittlung dieses Prinzips an die Teilnehmer*innen…


Um auch anderem mathematischen Vorwissen gerecht zu werden (#UmgangmitHeterogenität) gab es auch ein Arbeitsblatt zum Thema Grundrechnen. Hierbei zeigte sich, dass das Projekt für einige, regelmäßig teilnehmende Geflüchtete auch konkret eine Möglichkeit darstellt, sich intensiv mit grundlegender Mathematik auseinanderzusetzen. Vor allem in der Schule und in der Ausbildung ist die oft relevant! Für mich persönlich war diese Perspektive neu. In meinem Verständnis fungierte „Mathematik! Studierende unterrichten Flüchtlinge“ eher als spaßige Freizeitbeschäftigung, analog zu einem Fußballspiel (nur dass Mathematiker halt Mathematik machen und kein Fußball spielen können). Umso bereichernder war die Erfahrung Geflüchteten auch mal konkret, in ihrem Alltag helfen zu können.


Insgesamt lässt sich sagen, dass der Raum Computercodes interessante mathematische Perspektiven eröffnet hat: Wie funktioniert unsere Auffassung von Zahlen? Gibt es auch Alternativen? Wo ist Mathematik anwendbar...?

Trotz abnehmender Teilnehmendenzahlen  bleibt das Projekt eine bereichernde Erfahrung. Anstelle des „Wie kann ich Geflüchteten Helfen“ ist ein „Wir erarbeiten uns gemeinsam eine Inhalt“ geworden.  Das Aufeinandertreffen von Kulturen, Lebensgeschichten und individuellen Charakteristiken findet im Rahmen der gemeinsamen Beschäftigung mit einer (zugegebenermaßen etwas ungewöhnlichen) Thematik entspannt und unproblematisch statt. Beziehungen zwischen Fremden enthalten so kein künstliches, aufgezwungenes Element, sondern ergeben sich intrinsisch, aus der  Situation heraus.

Im Irak wird übrigens der „Punkt“ zwischen zwei Zahlen nicht als Symbol für die Multiplikation, sondern für das Kreuzprodukt zweier Vektoren verwendet.

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